In der Schifffahrt ist der Lotse ein erfahrener Seemann, der Schiffe sicher durch schwierige Gewässer leitet. Als Lotsen im übertragenen Sinne verstehen sich auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Opferhilfevereins
Weisser Ring. Im Landkreis Dahme-Spreewald sind es fünf Frauen und drei Männer, die Opfern von Kriminalität und Gewalt beistehen. „Das reicht vom Diebstahl über häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch bis hin zu Tötungsdelikten“, sagt Christian Skowronek, der die Außenstelle des Landkreises Dahme-Spreewald seit 2015 leitet und vorübergehend auch die im Landkreis Märkisch-Oderland betreut. Der 70 Jahre alte frühere Elektroingenieur aus Schulzendorf, seit sieben Jahren Mitglied im Weissen Ring, ist der Erste, der von einem Fall erfährt, indem das Opfer bei ihm anruft, wenn Geschädigte und ihre Familie Hilfe benötigen. Die beginnt zuallererst damit, dem Opfer zuzuhören. Um Hilfe vom Weissen Ring zu bekommen, sei eine Anzeige des Opfers bei der Polizei, aus welchen Gründen auch immer, nicht notwendig.
“Ja, wir sind gewissermaßen Lotsen, damit die Betroffenen an die richtigen Stellen kommen, wir sind qualifizierte Laien, aber keine Rechtsanwälte, Richter oder Psychologen“, sagt Christian Skowronek. Mitarbeiter des Weissen Ring begleiten ihre Schützlinge zur Polizei, zu Rechtsanwälten, zum Gericht, zur Staatsanwaltschaft, zum Jugendamt, zur Arbeitsagentur oder anderen Behörden. Um nach dem Opferentschädigungsgesetz Leistungen zu erhalten, muss zum Beispiel ein sieben Seiten langes Formular ausgefüllt werden. Das ist nicht jedermanns Sache, auch dabei hilft der Weisse Ring. Er reicht in besonderen Fällen, wenn Bedürftigkeit vorliegt, auch Schecks für die Erstberatung bei einem Rechtsanwalt oder Psychologen aus. Oder hilft mit einer Finanzspritze, wenn eine betroffene Mutter mit ihrem Kind nach einem Gerichtsprozess dringend Erholung braucht. „Bedürftigkeit ist aber nicht ausschlaggebend, wenn es um den sexuellen Missbrauch von Kindern geht“, fügt Karsten Blieske (72) an.
Ganz wichtig: Vertrauen aufbauen
Der Senziger ist seit fast zehn Jahren im Weissen Ring engagiert. “Man braucht für unsere Arbeit ein hohes Verantwortungsgefühl und viel Empathie, denn wir kommen in die kompliziertesten Situationen hinein, lernen oft unbeschreibliches Leid kennen. Wir fragen, was passiert ist, aber nicht, wie es passiert ist. Ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das ist ganz wichtig. Wir ent- scheiden nicht für die Opfer, wir geben Rat. Wir haben ehema- lige Staatsanwälte und Rechtsanwälte an unserer Seite, da steht schon eine Wucht dahinter.“
Die Zusammenarbeit des Vereins mit der Polizei sei gut: „In den meisten Fällen schlägt sie Geschädigten vor, sich an eine Opferhilfsorganisation, wie zum Beispiel den Weissen Ring zu wenden.“ Um qualifiziert den Opfern beistehen zu können, werden die Vereinsmitglieder regelmäßig geschult. Zu den Regeln des Vereins gehört auch, dass die Mitarbeiter eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben und keine Fälle im eigenen Wohnort übernehmen.
Im Landkreis Dahme-Spreewald konnte 2018 nach Angaben des Vereins 39 Opfern von Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch, Nötigung, Körperverletzung, Mobbing oder Stalking geholfen werden. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Opfer auf 60. „Wir mussten einen Anstieg der Fälle bei sexuellem Missbrauch an Frauen und Kindern verzeichnen sowie bei Stalking“, berichtet Karsten Blieske. Christian Skowronek ergänzt: „Manche Fälle sind nach zwei, drei Treffen gelöst, aber andere ziehen sich zum Teil über Jahre hin. Je nach Schwere des Falles stehen nicht nur die Opfer unter Leidensdruck, auch für uns ist es nicht immer so einfach, bestimmte Fälle zu verarbeiten.“ Den Mitarbeitern stehen aber entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel die Inanspruchnahme von Supervision: „Wir verstehen darunter, im Team über unsere Arbeit zu reflektieren und selbst erlebte Situationen auszuwerten. So gewinnen wir Souveränität und Abstand und lernen daraus. Sehr wichtig ist dabei Diskretion. Die Gespräche werden selbstverständlich vertraulich behandelt und unterliegen der Schweigepflicht.“
Jedes Opfer ist eines zu viel
Den zweiten Schwerpunkt neben der Opferhilfe sieht der Weisse Ring in der Präventionsarbeit. Die Helfer müssen immer wieder feststellen, wie wenig vor allem Kinder, Jugendliche und ihre Eltern oder auch Senioren über die Gefahren wissen, die ihnen im Alltag vonseiten Krimineller drohen. Weil jedes Opfer eines zu viel ist, sei Vorbeugung ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, betonen beide Vereinsmitglieder. Deshalb werden für interessierte Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Sportvereine, aber auch für Senioren, entsprechende Seminare angeboten, in deren Vorbereitung und Nacharbeitung an den Schulen Jugendliche, Erzieher und Eltern eingebunden werden. Auch die Helfer vom Weissen Ring müssen ständig hinzu- lernen und sich mit neuen Phänomenen auseinandersetzten. Stichwort: Cybermobbing, gerade hier gibt es ständig veränderte Erscheinungsformen. „Die jungen Leute sind heutzutage im Netz viel weiter unterwegs als viele Eltern ahnen“, sagt Karsten Blieske. „Deswegen ist die Erziehung zur Medienkompetenz, auch besonders bei den Eltern, ein wichtiger Punkt in unseren Vorträgen. Wie schnell Jungen oder Mädchen Opfer von Mobbing im Netz werden können, erstaunt die Eltern immer wieder. Weitere Informationen erteilt der Aussenstellenleiter des Weissen Rings.
Ansprechpartner: Christian Skowronek Tel.: 0151 5516 4700
Mail: weisserring-lds@web.de