Ab durch die Heide – Erlebnisbericht von Stefan Rentzsch

Pünktlich um zehn fällt der Startschuss am Kindergarten. Zusammen mit 26 anderen angemeldeten Hobbyläufern mache ich mich auf den vier Kilometer langen Weg durch die Senziger Heide. Nur vier Kilometer, für die Zehnerstrecke fühle ich mich einfach nicht trainiert genug. Vor fünf Minuten hat es noch ziemlich ergiebig geregnet. Jetzt tröpfelt es noch etwas. Angenehm ist anders, aber Ausdauerläufer lassen sich davon natürlich nicht abbringen. Außerdem: Plan ist es, dass beim Zieleinlauf das Regenwasser am Körper komplett durch Schweiß ersetzt ist.

Zunächst geht es südlich des Kindergartens auf die Gussower Straße Richtung „Echowiese“, wie sie von den Kindergartenkindern genannt wird. Ich halte mich erstmal etwas zurück und schaue, was passiert. Noch vor zwei Jahren hatte mein übersteigerter Ehrgeiz, in Verbindung mit einer Portion Selbstüberschätzung, zu drakonischen Schmerzen und Schnappatmung meinerseits am Zieleinlauf geführt. Damals demonstrierten mir die 11 bis 16-Jährigen Mitläufer eindrucksvoll, dass sie einen untrainierten Erwachsenen durch regelmäßiges Training locker in die Tasche stecken. Ein junges Mädchen um die 13 ist auch diesmal schon vorausgeeilt. Hinter ihr kämpfen ein paar Jugendliche und zwei Erwachsene um die Plätze. 

Solidarität auf der Strecke

Ein kleines Hinweisschild im Wald Richtung Waldesruh zeigt an, dass der erste Kilometer geschafft ist. Ein kleiner Junge, höchstens neun Jahre alt, läuft schnell atmend, fast schnappend, neben mir her. Ich hoffe, er kann die Streckenlänge richtig einschätzen. Immerhin: Meine Muskeln fühlen sich viel besser an, als vor zwei Jahren, als ich mir an dieser Stelle dachte: „Das kann doch nie im Leben erst ein Kilometer gewesen sein!“. Ein paar Meter weiter klagt ein Mädchen über Seitenstechen, der Papa, noch vor mir laufend, wird langsamer, damit sie aufschließen kann. „Ist schon ok Papa, ich komme klar“, höre ich von hinten. „Nein das passt schon, wir wollen zusammenbleiben.“ So muss das sein beim Senziger Heidelauf.

Die Strecke führt jetzt durch eine scharfe Linkskurve von Waldesruh weg und leitet in einen ordentlichen Anstieg über. Ein weiteres junges Mädchen muss dem Tribut zollen und fällt hinter mich zurück. Auch meine Knochen machen keine Freudensprünge ob der Anstrengung. Dies ändert sich jedoch beim folgenden Abstieg. Gerade noch erbitterter Gegenspieler, wird die Erdanziehung hier zum Verbündeten und sorgt für etwas Erholung. 

Es geht nun aus dem Wald heraus. Vor mir breitet sich das große Feld westlich des Buttersteigs aus. Zeit für eine Bestandsaufnahme: Das vorauseilende Mädchen vom Anfang hat seinen Vorsprung noch ausgebaut. Wahnsinn. Hinter ihr kämpfen ein Junge und ein Mädchen, etwa gleich alt, um Rang zwei und drei. Dann komme ich. Hinter mir hält sich der kleine Junge mit der lauten Atmung zäh, gibt keinen Meter her. Angesichts der Tatsache, dass ich mich gerade extrem anstrengen muss, empfinde ich erst recht riesengroßen Respekt vor der Leistung der jungen Sportler. Während die Strecke nun dem Waldrand folgt und dabei einen großen Bogen Richtung Buttersteig beschreibt, informieren die ehrenamtlichen Streckenposten darüber, dass nun die Hälfte geschafft sei. 

Als ich auf den Buttersteig einbiege, hat sich am Stand nichts geändert. Vor mir thront die hoch gelegene Senziger Mülldeponie mit ihrer markanten Solaranlage. „Nur noch da dran vorbei und dann ist es fast geschafft“, denke ich mir. Der Buttersteig als zweite Streckenhälfte scheint von den Organisatoren jedoch als Charaktertest eingefügt worden zu sein. Boten im vorherigen Abschnitt Kurven, Anhöhen, Abstiege, Stock und Stein motivierende Abwechslung, geht es jetzt schnurgerade über das nicht enden wollende Feld. Meine Muskeln melden sich nun auch mehr und mehr zu Wort. Für sie klingt die Ansage eines Streckenpostens, dass es jetzt nur noch ein Kilometer sei, eher wie eine Drohung, als nach Motivation. 

Drama beim Schlusssport?

Das Mädchen auf Platz eins ist schon fast am Gashäuschen. Den Kampf und Platz zwei scheint das andere Mädchen gegen den Jungen entschieden zu haben. In Rücksprache mit meinem Körper lote ich aus, ob ich noch an Platz drei herankommen kann. Dieses Vorhaben gestaltet sich jedoch sehr zäh, während ich an den ersten neu gepflanzten Obstbäumen vorbeilaufe. Fortschritte bei der Verringerung des Abstands sind nur mit dem Mikroskop erkennbar. Doch dann noch die Schrecksekunde kurz vor Schluss: Der Junge vor mir läuft versehentlich geradeaus die Gussower Straße herunter, anstatt in Richtung Kindergarten rechts einzubiegen. Würde ich ihn doch noch völlig unverdient überholen? Nein! Denn wie sich herausstellt, scheint ihn sein Versehen nur noch mehr angestachelt zu haben. Ich lege zwar nochmal ein paar raumgreifende Schritte hin, doch gegen seinen Schlusssport habe ich keine Chance. 

Erschöpft, aber glücklich, komme ich als Vierter ins Ziel. Die Zeit: 20 Minuten, 19 Sekunden. Über eine Minute schneller als vor zwei Jahren. Na bitte! Haben sich meine paar Trainingsläufe im Vorfeld doch gelohnt. Dann kann ich ja beim nächsten Mal vielleicht doch die zehn Kilometer in Angriff nehmen…

Erlebnisbericht von Stefan Rentzsch 

 

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